Ausgangslage revidierte Vereinbarung

Das öffentliche Beschaffungsrecht regelt ein wichtiges Segment der Schweizer Volkswirtschaft. Die Kantone und Gemeinden beschaffen jährlich Bauleistungen, Lieferungen und Dienstleistungen im Wert von über 35 Milliarden Franken. Seine Grundlagen findet es im WTO-Übereinkommen über das öffentliche Beschaffungswesen (GPA) und im bilateralen Abkommen mit der EU über bestimmte Aspekte des öffentlichen Beschaffungswesens. Diese Staatsverträge werden auf kantonaler Ebene durch die Interkantonale Vereinbarung über das öffentliche Beschaffungswesen (IVöB) und auf Ebene Bund durch das Bundesgesetz über das öffentliche Beschaffungswesen (BöB) und die zugehörige Verordnung (VöB) umgesetzt.

Ein Hauptziel der Revision der IVöB ist es, die zersplitterten Beschaffungserlasse von Bund und Kantonen – unter Beibehaltung der föderalen Kompetenzaufteilung – so weit wie möglich zu harmonisieren. Ferner soll auch unter den Erlassen der einzelnen Kantone eine Harmonisierung angestrebt werden. Deshalb wurden die Vergaberichtlinien (VRöB), also die Ausführungsbestimmungen, neu in die IVöB integriert. Die Kantone haben im Rahmen von Artikel 63 Absatz 4 die Möglichkeit eigene Bestimmungen zu erlassen. Der erwähnte Artikel sieht vor, dass die Kantone unter Einhaltung der internationalen Verpflichtungen Ausführungsbestimmungen, insbesondere zu den Art. 10, 12 und 26, erlassen können. Die Anbieter können sich damit auf eine weitestgehend einheitliche Rechtsgrundlage konzentrieren. Dies entspricht seit Jahren einem Anliegen der Wirtschaft, da die heutige heterogene Rechtslage zu vermeidbaren Rechtsunsicherheiten und kostspieligen Verfahren führt. Seit 2012 haben der Bund und die Kantone in einer paritätisch zusammengesetzten Arbeitsgruppe die inhaltlich harmonisierten Revisionstexte für die neue Interkantonale Vereinbarung über das öffentliche Beschaffungswesen (IVöB) und für das Bundesgesetz vorbereitet.

Gleichzeitig soll mit der Revision das 2012 revidierte GPA in die nationale Gesetzgebung überführt werden. Das neue Abkommen ersetzt das ursprüngliche Übereinkommen von 1994. Es verbessert den Marktzugang der Schweizer Unternehmen zu öffentlichen Aufträgen im In- und Ausland, sowie die Transparenz.

Für die Schweiz liegt die Bedeutung der Revision unter anderem in der Verbesserung der ökologischen, sozialen und wirtschaftlichen Nachhaltigkeit öffentlicher Aufträge, der Stärkung des Qualitätswettbewerbs gegenüber dem Preiswettbewerb, der Klärung von Unterstellungsfragen, der Flexibilisierung des Beschaffungsvorgangs und der Anpassung an die künftigen Herausforderungen, z. B. bei der elektronischen Vergabe.

Das Interkantonale Organ für das öffentliche Beschaffungswesen (InöB) hat die revidierte IVöB am 15. November 2019 verabschiedet. Die Inkraftsetzung des neuen öffentlichen Beschaffungsrechts im Kanton Bern erfolgt per 1. Februar 2022.

Kanton Bern: Anwendbarkeit des neuen Rechts

Die Frage nach dem anwendbaren Recht entscheidet sich mit der Einleitung des Verfahrens. Vergabeverfahren, die vor Inkrafttreten der IVöB eingeleitet wurden, werden auch nach bisherigem Recht zu Ende geführt.

Die Bestimmung in Art. 64 Abs. 1 IVöB 2019 entspricht dem bisherigen Art. 22 Abs. 1 IVöB 2001. Demnach gilt das neue Recht für Aufträge, die nach Inkrafttreten der Vereinbarung ausgeschrieben oder vergeben wurden. Ein Verfahren gilt als eingeleitet, sobald das Beschaffungsvorhaben öffentlich wird: im offenen oder selektiven Verfahren mit der Publikation auf simap.ch, im Einladungsverfahren mit der Einladung zur Angebotsabgabe. Das freihändige Verfahren ist abgeschlossen, wenn der Zuschlag publiziert oder der Vertrag abgeschlossen ist, sofern keine Publikation erfolgen muss.